Wichtigere Probleme als Gender-Sternchen
Alexander Ulrich (Linke) im „SWR Aktuell Sommerinterview“ mit Moderatorin Daniela Schick / Fr., 30.7., 19:30 Uhr im SWR Fernsehen
Mainz. Alexander Ulrich kritisiert, bei den neuen Corona-Reiseregeln stolperten Bundes- und Landesregierung durch die Krise. Und: Die Leute hätten wichtigere Probleme als Gender-Sternchen und Bio-Essen.
Grundsätzlich sei es richtig, dass für Reiserückkehrer ab August eine generelle Testpflicht auf das Coronavirus gelte, so Alexander Ulrich im „SWR Aktuell Sommerinterview“. Die Pflicht für alle, die weder geimpft noch genesen sind, sei nicht zu viel verlangt, um erneute Schließungen in Gastronomie und Kultur zu verhindern. Die Entscheidung komme aber deutlich zu spät und hätte schon zu Beginn der Schulferien gefällt werden müssen, so Ulrich: „Spätestens seit der Fußball-EM wissen wir auch, was im Ausland los ist. Jetzt heute eine Entscheidung zu treffen, die ab übermorgen schon gilt. Ich glaube, die Urlauber hätten es verdient gehabt, früher darüber informiert zu werden.“
Bundeswehr macht im Inneren „sehr gute Arbeit“
Beim Thema Militär und Bundeswehr zeigt der Linken-Politiker sich an mehreren Stellen kompromissbereiter als weite Teile seiner Partei. In ihrem Bundestagswahlprogramm fordert die Linke etwa, dass die Bundeswehr zum Katastrophenschutz nicht im Inland eingesetzt werden solle. In der aktuellen Ausnahmesituation in den Hochwassergebieten im Norden von Rheinland-Pfalz gelte das aber nicht, so Ulrich. Die Bundeswehr mache dort „sehr gute Arbeit“. Ihm sei es lieber, die Bundeswehr helfe im Inneren, als bei „unnötigen Auslandseinsätzen“. Die Truppe springe allerdings beim Katastrophenschutz und in der Corona-Krise in eine Lücke, die entstanden sei, weil „die öffentliche Hand kaputtgespart wurde“. Durch höhere Steuern für Vermögende wolle die Linke daran etwas ändern.
„Rücktrittsforderungen sind fehl am Platz“
Nach der Flutkatastrophe müsse analysiert werden, ob es Versäumnisse beim Weitergeben von Warnungen der Bevölkerung gegeben habe, sagte Ulrich im „SWR Aktuell Sommerinterview“. Der Rücktrittsforderung von Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Welsow gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) aus der vergangenen Woche wolle er sich nicht anschließen: „Rücktrittsforderungen sind fehl am Platz.“
Gesprächsbereitschaft bei Militär-Themen
Auch beim Thema US-Truppenpräsenz zeigt Ulrich sich weniger rigoros als das Wahlprogramm seiner Partei. Das sieht einen kompletten Abzug der US-Militärs und den Austritt Deutschlands aus der NATO vor. Ulrich skizziert die roten Linien für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition an anderer Stelle: Beim Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel, dem Ende des Drohnenkrieges über die Airbase in Ramstein und beim Stopp von Kerosinablässen aus US-Militärfliegern über dem Pfälzerwald. „Dann wären wir schon ein Stück weiter“, so Ulrich im „SWR Aktuell Sommerinterview“. Das Wahlprogramm seiner Partei sei offen genug für eine Zusammenarbeit mit Grünen und SPD. Ob der Wähler lieber eine starke Opposition wolle, müsse das Ergebnis der Bundestagswahl zeigen.
Debatte über „Lifestyle-Linke“
Mitten im Wahlkampf hat die frühere Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht eine Debatte über das Profil der Partei losgetreten. In ihrem Buch behauptet Wagenknecht, die Linke habe sich von den Problemen ihrer Kernwählerschaft entkoppelt, befasse sich zu sehr mit Fragen geschlechterneutraler Sprache oder Bio-Essen. Wagenknecht warnt davor, die Partei werde zur „Lifestyle-Linken“ und verliere die Arbeiterschaft an die politische Konkurrenz von der AfD. Das brachte der langgedienten Linken-Ikone lautstarke Kritik aus den eigenen Reihen, inklusive eines Ausschlussverfahrens, ein. Alexander Ulrich hingegen springt seiner Vertrauten Wagenknecht bei.
Debatte richtig, Zeitpunkt nicht
Spätestens seit der Europawahl 2019 verbuche die Linke nur noch mäßige Wahlerfolge, verliere insbesondere Stimmen von Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen, so Ulrich im „SWR Aktuell Sommerinterview“. Auch wenn man über den Zeitpunkt kurz vor der Bundestagswahl streiten könne: Die Debatte sei wichtig. Als Gewerkschafter habe er die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen wichtigere Probleme hätten als Debatten über geschlechtergerechte Sprache: „Diese Leute wachen nicht morgens auf und fragen sich, wo das Gender-Sternchen ist. Denen geht es ganz konkret darum, dass sie durch den Monat kommen.“ Die Linke müsse sich wieder mehr um faire Arbeitsbedingungen, höhere Renten und den Sozialstaat kümmern. Das Ausschlussverfahren gegen Wagenknecht hält Ulrich für die Partei für schädlicher als die losgetretene Debatte. Wagenknecht wird Ulrich im Bundestagswahlkampf in Kaiserslautern unterstützen. „Ich freue mich darauf“, so Ulrich.
Das „SWR Aktuell Sommerinterview“ mit Alexander Ulrich ist am heutigen Freitag, 30. Juli 2021, ab 19:30 Uhr im SWR Fernsehen zu sehen und auf SWR.de/rp abrufbar. Es folgen jetzt noch zwei „SWR Aktuell Sommerinterviews“:
6. August Julia Klöckner (CDU), Moderation: Sascha Becker
13. August Volker Wissing (FDP), Moderation: Dorit Becker
Bu: SWR Fernsehen SWR AKTUELL RHEINLAND-PFALZ, „SWR Aktuell Sommerinterview – Alexander Ulrich (Linke)“, am Freitag (30.07.21) um 19:30 Uhr. Heute im „SWR Aktuell Sommerinterview“ mit Daniela Schick (li.): Alexander Ulrich (Linke). © SWR/Frederik Merx, – Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter SWR-Sendung bei Nennung „Bild: SWR/Frederik Merx“ (S2+).
Quelle Text/Bild:
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Stuttgart, 30.07.2021