Die Erinnerung lebendig halten

Jugendgedenkfahrt nach Gurs und zu weiteren Gedenkstätten in Frankreich

Höhepunkt der Jugendgedenkfahrt war für viele die Gedenkveranstaltung in Gurs, zu der die Delegationen vom Bezirksverband Pfalz und der badischen Städte angereist waren, die sich als Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflege des dortigen Deportiertenfriedhofs engagieren. Eingebettet war die gut besuchte Gedenkveranstaltung für die insgesamt rund 30 jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in den Besuch einer Reihe von Gedenkstätten in Frankreich im Rahmen einer einwöchigen Reise; so konnten sie sich intensiv mit der Deportation der Jüdinnen und Juden aus dem deutschen Südwesten im Oktober 1940 beschäftigen.

„Antisemitismus ist keine Meinung, sondern eine menschenverachtende Straftat“, sagte die deutsche Generalkonsulin Stefanie Zeidler bei der Gedenkfeier. Dieser erhebe wieder „seine widerliche Fratze“ in Frankreich, Deutschland und Europa. Staatssekretärin Sandra Boser vom baden-württembergischen Kultusministerium erinnerte an die internierten Künstler und Künstlerinnen in Gurs, die das Leid im Lager zwar nicht lindern, ihnen aber schöne Stunden schenken konnten. Da Emmendingen in diesem Jahr die Sprecherrolle in der Arbeitsgemeinschaft der badischen Städte und des Bezirksverbands Pfalz hatte, sagte Oberbürgermeister Stefan Schlatterer: „Wir dürfen nicht vergessen, was damals passiert ist. Dem Hass müssen wir unsere Zivilcourage entgegensetzen, gemeinsam müssen wir aufstehen für Gerechtigkeit und Toleranz.“ Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, ging auf die momentane Situation in Israel und Gaza ein: „Dies war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass die Juden im eigenen Land ermordet, vergewaltigt und verschleppt wurden.“ Israel sei für die ausländischen Juden immer als Zufluchtsort angesehen worden, was nun keine Sicherheit mehr gebe. „Gurs ist heute ein Ort der Geschichte, der Besinnung und des Friedens zwischen den Völkern“, sagte In͂aki Echaniz, Mitglied der französischen Nationalversammlung und Abgeordneter für das Departement Pyrénées-Atlantiques, Im Laufe der Jahre sei hier ein einzigartiger Ort mit einem Friedhof, dem Nachbau einer Baracke, einem Denkmal, aber auch Ausstellungen und Veranstaltungen geschaffen worden.

Zuvor besuchten die Jugendlichen Chambon-sur-Lignon auf einem Hochplateau in den Cevennen, das von Yad Vashem ausgezeichnet wurde, da die Bevölkerung dort zwischen 2.500 und 3.500 jüdische Familien, darunter vor allem Kinder, in den 1940er Jahren gerettet hatten. Seit zehn Jahren gibt es ein Museum, das die Formen des Widerstands dokumentiert: den zivilen, bei dem die Bevölkerung Geflüchtete aufnahm, den geistigen, indem sie nicht einverstanden war mit dem Vorgehen des Regimes, und den bewaffneten, wie ihn die Résistance ausübte. Sodann waren die jungen Menschen in der Gedenkstätte in Récébédou bei Toulouse, die in einem originalen Lagergebäude untergebracht ist. Hier waren bis 1942 mehr als 7.000 Menschen aus 34 Nationen, darunter zahlreiche Juden und Jüdinnen aus Deutschland, interniert. Aufgrund der schwierigen Lagerbedingungen starben über 250 jüdische Insassen, die auf dem jüdischen Friedhof in Portet-sur-Garonne beigesetzt wurden. Ab August 1942 fingen die Deportationen nach Gurs und Rivesaltes und von dort über Drancy nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager im Osten an; viele der Internierten kamen aus der Pfalz und dem Saarland. Ein Schmuckstück ist die Synagoge in Pau von 1880, die die Jugendlichen auch besichtigten und viel Interessantes über die jüdische Religion und Lebensweise erfuhren.



Drei Jugendliche aus Emmendingen stellten die Schicksale eines Juden sowie eines Geschwisterpaares aus der badischen Stadt vor. Und Carola Grasse informierte als Vorsitzende über die Vermittlungsarbeit des Vereins für jüdische Geschichte und Kultur, der seit 1997 das Jüdische Museum Emmendingen trägt. Es habe eine umfangreiche Datenbank, eine Medienstation und erarbeite zurzeit ein Online-Gedenkbuch mit Porträts von 533 jüdische Menschen. Auf dem städtischen Friedhof in Pau enthüllten die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland, die Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflege des Deportiertenfriedhofs, die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden und Verantwortliche der Stadt Pau unter großer öffentlicher Teilnahme eine Stele für die jüdischen Deportierten nach Gurs. Außerdem erlebten die Jugendlichen die Vorführung des 40-minütigen Films „Der Hölle entkommen“ von Dietmar Schulz, den der ehemalige ZDF-Korrespondent gedreht hat und der in der anschließenden lebhaften Fragerunde Rede und Antwort stand. Der Film beschäftigt sich mit der Rettung von rund 450 jüdischen Kindern und Jugendlichen aus dem deutschen Südwesten. In Workshops erarbeiteten die Jugendlichen sodann in Kleingruppen die Biografien von sechs deportierten Juden und Jüdinnen und präsentierten ihre Ergebnisse.

Die Jugendlichen besuchten auch das größte Lager in Westeuropa: Rivesaltes bei Perpignan. Rund 620 Hektar groß ist das ehemalige Gelände, auf dem noch Ruinen zahlreicher Steinbaracken stehen. Der Ort hat eine fast 70-jährige Lagergeschichte, die 1939 begann und 2007 endete. Von Januar 1941 bis Juli 1942 wurde es Internierungslager für Menschen jüdischen Glaubens, von August bis November des gleichen Jahres Durchgangslager auf dem Weg in die Vernichtungslager im Osten, darunter Auschwitz. Über 70.000 mussten diesen Weg gehen. Wurde Gurs die „Vorhölle von Auschwitz“ genannt, so galt Rivesaltes als das „Drancy der ‚Freien Zone‘“ (des Vichy-Regimes) beziehungsweise „Drancy des Südens“. Ans Herz ging auch als letzte Station der Reise der Besuch der Gedenkstätte Izieu, ein Kinderheim in den Bergen südöstlich von Lyon, in dem viele jüdische Kinder und Jugendliche gerettet, aber auch 44 bei einer Razzia am 6. April 1944 verhaftet, über Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Mit ihnen kamen der Gründer und Direktor des Heims, Miron Zlatin, und sechs Betreuer und Betreuerinnen ins Vernichtungslager. Das 2015 eröffnete Dokumentationszentrum, das neben dem Kinderheim liegt, präsentiert zahlreiche Fotos, historische Belege und Erläuterungen; Lebenswege der Kinder sind am Touchscreen nachvollziehbar. Hier sind auch Film-Ausschnitte aus dem Klaus Barbie-Prozess von 1987 zu sehen; der Gestapo-Chef in Lyon hatte die Razzia am Morgen des ersten Osterferientags veranlasst, die drei Gestapo-Offiziere und 15 Wehrmachtsoldaten durchführten.

Die intensive Gedenkfahrt hat bei den Jugendlichen tiefgehende und nachhaltige Eindrücke hinterlassen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so wichtig ist, an die Orte des Geschehens zu gehen“, „viel Neues erfahren und Unbekanntes erlebt“, „sehr informativ“, „überwältigend“, „eindrücklich“, „gewinnbringend“ – so deren Kommentare. Und Ulrich Burkhart, Leiter des Zentralarchivs des Bezirksverbands Pfalz, der die Jugendgedenkfahrt organisiert und durchgeführt hatte, freute sich, dass das Ziel, „Geschichte in Puzzleteilen“ zu vermitteln, um nach einer Woche ein Gesamtbild zu erhalten, offenbar erreicht worden sei. Er lobte die Jugendlichen, dass sie mit Herz und Verstand dabei gewesen seien und sich mit Konzentration und zahlreichen Fragen beteiligt hätten. „Bewahrt und tragt weiter, was ihr hier erfahren und gelernt habt“, wünschte er sich, und verabschiedete sie mit einem „Nie wieder!“.

Der Bezirksverband Pfalz beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem dunkelsten Kapitel der pfälzischen Geschichte. 2001 bewilligte der Bezirkstag Pfalz einen Zuschuss von 25.000 Euro zur Errichtung einer Gedenkstätte auf dem ehemaligen Lagergelände in Gurs, das nach Kriegsende eingeebnet und mit Bäumen bepflanzt wurde. 2006 trat der Bezirksverband Pfalz der Arbeitsgemeinschaft badischer Städte bei und zahlt nun jährlich einen Zuschuss von 5.000 Euro für die Unterhaltung und Pflege des Friedhofs, auf dem etwa 1.070 deportierte Juden aus Baden und der Pfalz beerdigt sind. Seit 2008 lädt der Regionalverband Jugendliche zu Gedenkfahrten unter anderem nach Gurs ein.

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Auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs: Delegation des Bezirksverbands Pfalz mit Bezirkstagsvize Dr. Klaus Weichel (rechts) und den pfälzischen und badischen Jugendlichen

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Besuch des ehemaligen Lagers: Nachbau einer Baracke im aufgeforsteten Gelände bei Gurs

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Auf den Lebensspuren der Ermordeten: Jugendliche beim Workshop

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Quelle Text/Bild:
Bezirksverband Pfalz
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Bismarckstraße 17
67655 Kaiserslautern

www.bv-pfalz.de

Kaiserslautern, 02.11.2023

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