Wie wandern die Blicke über eine Mathematikaufgabe, wenn Schülerinnen und Schüler sie bearbeiten? Damit beschäftigt sich die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Stefan Ruzika am Fachbereich Mathematik der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Sie nutzt dazu die Eye-Tracking-Technik, um Blickbewegungen zu erfassen. Ziel ist es unter anderem, damit Lernsysteme so zu verbessern, dass sich Lernprozesse individuell unterstützen lassen. Im Fokus stehen die Erkennung von spezifischen Lösungsstrategien und Schwierigkeiten. Hierbei kommen Methoden der Netzwerkoptimierung und des maschinellen Lernens zum Einsatz. Einen ersten Prototyp hat das Team bereits entwickelt.
Adaptive Lernsysteme erfassen zum Beispiel die Maus- und Tastatureingaben, analysieren diese und können so die digitale Umgebung individuell gestalten. Sie kamen vor allem während der Corona-Pandemie im Distanzunterricht zum Einsatz. Solche Systeme sammeln Daten über Nutzerinnen und Nutzer, um zum Beispiel passendes Feedback auszuwählen. Diese Rückkopplung erfolgt bislang meist ergebnisbezogen und beläuft sich im Wesentlichen auf Aussagen wie „richtig“ oder „falsch“. „Das allein reicht nicht aus, um einen umfassenden Einblick über unseren Lernprozess zu erhalten“, sagt Professor Stefan Ruzika, der im Lehrgebiet Optimierung an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) forscht. „Wir untersuchen, wie sich die Blickbewegungen von Schülerinnen und Schülern beim Lösen von Aufgaben in solche Systeme integrieren lassen. Damit sind wir in der Lage, Lernfortschritte zu beobachten.“
Seine Mitarbeiterinnen Kathrin Kennel und Lynn Knippertz haben dazu in mehreren Studien Blickbewegungen von Schülerinnen und Schülern mithilfe eines am Monitor montierten Eye-Trackers aufgezeichnet und diese im Anschluss ausgewertet. Durch diese Methode können die Forscherinnen und Forscher genau erfassen, auf welche Bereiche einer Aufgabe die Jugendlichen ihre Blicke richten, wie lange sie darauf schauen und in welcher Reihenfolge.
„Diese Informationen können uns Einblicke in unsere Problemlösungsstrategien bieten, uns also zeigen, wie wir Aufgaben lösen“, sagt Kennel. Ziel ist es, die Diagnosefähigkeit der Systeme so weit zu verbessern, dass Lehrkräfte sie im Unterricht nutzen können. Das bedeutet nicht nur, dass die Lernsysteme passende Aufgaben liefern müssen, sondern auch, dass sie das jeweilige Verständnis bezüglich der Aufgabe überwachen und bei Bedarf unterstützen können. „Um das effektiv zu tun, müssen die Systeme erkennen, wo wir beim Lernen Schwierigkeiten haben und wo wir uns gut schlagen“, erklärt Ruzika.
Um zunächst zu untersuchen, wie Eye-Tracking-Daten beim Erkennen von Fehlern und gezielter Hilfestellung zum Einsatz kommen können, hat das Forscherteam die Blickbewegungen von knapp 300 Schülerinnen und Schülern analysiert. Diese haben dabei Mathematikaufgaben gelöst. „Wir haben gesehen, dass die Schülerinnen und Schüler, die die Aufgaben korrekt gelöst haben, tatsächlich ein anderes Blickverhalten aufgewiesen haben als jene, die Fehler gemacht haben“, fasst Ruzika zusammen. Sie haben sich häufiger und länger mit relevanten Bereichen befasst und haben ein abweichendes Muster von Blickbewegungen gezeigt.
Darüber hinaus hat das Team festgestellt, dass die Blickdaten reichen, um spezifische Strategien und Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu erkennen. Dazu hat es verschiedene mathematische Methoden genutzt: „Zum Erkennen von Lösungsstrategien haben wir einen Algorithmus implementiert, der die Blickdaten der Lernenden in sogenannte mathematische Netze transformiert und innerhalb dieser Netze spezielle geometrische Muster detektieren kann“, erklärt Knippertz. Ob der Algorithmus tatsächlich die korrekte Lösungsstrategie der Lernenden erkannt hat, zeigt ein Abgleich aus Interviews mit den Jugendlichen, in denen sie im Anschluss an die Bearbeitung durch „lautes Denken“ ihre Strategien erklärt haben.
Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass Lösungsstrategien aus Blickdaten detektiert werden können. Außerdem hat das Team Verfahren des maschinellen Lernens genutzt, um Lernschwierigkeiten besser aufzuspüren: Es hat einen Algorithmus darauf trainiert, wiederkehrende Muster in den Daten zu erkennen. Dabei werden dem Algorithmus eine große Menge an Blickdaten „gezeigt“, für die jeweils bekannt ist, welche Schwierigkeit beim Lerner vorlag. Anhand der gelernten Muster kann der Algorithmus Vorhersagen für neue, nicht gekennzeichnete Daten treffen. „Auf diese Weise kann das System bereits während des Bearbeitens der Aufgabe feststellen, ob es zu Schwierigkeiten kommt und früh Rückmeldung geben“, so Kennel weiter.
Die Forschungsergebnisse sind ein erster Wegweiser, um blickdatenbasierte Technik in Schulen zu nutzen. Ein erster Prototyp eines adaptiven Lernsystems hat das Team bereits entwickelt. Ein solches System könnte in Zukunft etwa Lehrkräfte im Unterricht unterstützen, um Schülerinnen und Schülern, die Probleme beim Lösen von Aufgaben haben, Hilfestellungen zu geben und diesen beim Lernprozess zu helfen. Die Arbeiten fanden im Rahmen des Projekts „MAL-i“ (Mathematical Adaptive Learningsystems Enhanced by Eye-Tracking) statt. Es zielt darauf ab, die Diagnosefähigkeit adaptiver Lernsysteme zu verbessern. Es ist Teil des Projekts „Unified Education: Medienbildung entlang der Lehrerbildungskette“ (U.EDU).
Das Projekt U.EDU
MAL-i ist Teil des Projekts „Unified Education: Medienbildung entlang der Lehrerbildungskette“ (U.EDU), das auf die Weiterentwicklung der Lehrerbildung durch ein auf alle Phasen zielendes Professionalisierungskonzept zum Lehren und Lernen mit digitalen Medien fokussiert. U.EDU (Förderkennzeichen: 01JA1916) wurde von 2016 bis 2023 im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Weiterführende Informationen: https://rptu.de/uedu
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Kaiserslautern, 28.01.2024
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