In keinem Lager der NS-Zeit, außer wohl in Theresienstadt, konnten Künstler und Künstlerinnen so kreativ sein wie in Gurs. Sie sorgten mit einem vielfältigen Kulturprogramm dafür, dass ihre Mitgefangenen das Elend für kurze Zeit vergessen und wieder Lebensmut fassen konnten. Wie umfangreich das kulturelle Leben war, zeigt der 40-minütige Dokumentarfilm „Das Elend vergessen – Künstler hinter Stacheldraht“ des bekannten ehemaligen ZDF-Korrespondenten Dietmar Schulz, den der Bezirksverband Pfalz im Union-Studio für Filmkunst in Kaiserslautern präsentiert hat. Anschließend folgte ein Podiumsgespräch mit dem Filmautor, das Archivar Ulrich Burkhart und Dr. Sören Fischer vom Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (mpk), Kurator der Rudolf Levy-Ausstellung, moderierten. Dietmar Schulz schilderte eindrucksvoll, dass die „Gursianer“, wie sich die Insassen selbst nannten, versucht haben, sich durch den Kulturbetrieb ihre Menschlichkeit zu bewahren. Dass es diesen überhaupt gegeben habe, lag am Charakter des Lagers, denn Gurs sei ein Internierungs-, kein Durchgangs- oder Vernichtungslager gewesen.
Im Oktober 1940 deportierten die Nazi-Behörden mehr als 6.500 Bürger jüdischen Glaubens aus der Pfalz, aus Baden und dem Saarland ins Internierungslager Gurs in Südfrankreich. Unter ihnen waren namhafte Künstlerinnen und Künstler aus der Pfalz und Baden. Sie gaben gemeinsam mit Musikern und Sängern aus anderen Teilen Deutschlands wiederholt Konzerte für ihre Mitgefangenen und gründeten eine Kabarett-Truppe und ein Theater. Zu ihnen gehörten der Musiker Hans Ebbecke und seine Frau, die Sängerin Anni Blum aus Bergzabern, sowie der junge Pianist und Komponist Alfred Cahn aus Speyer. Er schrieb das wohl bekannteste Lied über Gurs und studierte es mit einem Kinderchor im Lager ein: „Wir sind ganz junge Bäumchen“, so sein Titel. Eugen Fried aus Ingelheim verfasste mehr als 50 Gedichte über das triste Lagerleben. Liesel Felsenthal aus Kaiserslautern malte 18 Aquarelle, auf denen sie den Tagesablauf im Lager zeigte. Viele der Kunstschaffenden wurden 1942 von Gurs nach Auschwitz gebracht und ermordet. Interview-Partner ist der französische Gurs-Experte Claude Laharie sowie der kürzlich verstorbene Pfälzer Historiker Roland Paul. Zahlreiche Schwarzweiß-Fotos, Notenblätter und Dokumente sind bisher unveröffentlicht. Sie wurden nach langen Recherchen in Archiven in Frankreich, in den USA, in der Schweiz und in Israel sowie in Privatsammlungen entdeckt. Es ist die erste Film-Dokumentation über das unerwartet umfangreiche Kulturleben im Lager Gurs. Das Filmprojekt wurde maßgeblich unterstützt von den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie auch vom Bezirksverband Pfalz.
Dietmar Schulz machte auch unmissverständlich deutlich, dass er Stimmen, es sei doch an der Zeit, einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen, für „nicht angebracht“ hält. Gerade die zurückliegenden Wochen hätten gezeigt, „wie stark sich der Antisemitismus in Deutschland ausgebreitet hat“. „Es ist absurd, darüber nachzudenken, das Thema ad acta zu legen.“ Es gebe immer weniger Zeitzeugen, das heiße, die Möglichkeit, sie zu befragen, werde immer geringer. Die Gedenkarbeit habe die Aufgabe, sich neuen Möglichkeiten der Vermittlung zuzuwenden. Ulrich Burkhart fügte hinzu, dass die Filme von Dietmar Schulz ja gerade deshalb und besonders für Jugendliche „so wertvoll sind, da Zeitzeugen zu Wort kommen“. Auf die Ausstellung „Rudolf Levy – Magier der Farben“, die in einem Trailer kurz vorgestellt wurde, wies Dr. Sören Fischer hin: Sie präsentiere nicht nur Gemälde, sondern auch Fotos und Filmdokumente, so dass man sich gut in die damalige Zeit zurückversetzen könne. Rudolf Levy musste vor den Nazis emigrieren, wurde aber doch Ende 1943 von der Gestapo in Florenz verhaftet und Anfang 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die Filme über Gurs von Dietmar Schulz sind unter www.gurs.education sowie Informationen zur Ausstellung im mpk unter www.mpk.de abrufbar.
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Quelle Text/Bild:
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Kaiserslautern, 21.11.2023
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