Lesetipps von der Buchhandlung „blaue Blume“ 29.12.

Roman: Nicolas Mathieu – Connemara
Eines der Bücher des Jahres 2022 ist für uns Nicolas Mathieus neuer Roman „Connemara“, eine Geschichte über das tiefe Unbehagen der Aufsteiger und über die nicht immer verhaltene Wut des anderen Teils der Gesellschaft, die vom Aufstieg träumt. Helene hat sich den Traum ihrer Jugend erfüllt, sie hat die Enge der kleinen Stadt im Osten Frankreichs verlassen, hat an einer Elite-Hochschule studiert und arbeitet in führender Position einer Consultingfirma. Ihre Begegnung mit Christophe, dem umschwärmten Eishockeystar ihrer Jugend, der in der Heimat geblieben ist, stellt alle Gewissheiten in Frage. Einmal mehr erweist sich der Prix-Goncourt-Preisträger als ein Meister des sozialkritischen Romans und genauer Beobachter gesellschaftlicher Verwerfungen.

Roman
Damon Galgut – Das Versprechen
„Das Versprechen“ erzählt vom zunehmenden Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie, die auf einer Farm außerhalb Pretorias lebt. Während die Älteren noch den alten Zeiten nachhängen, verabscheut die jüngere Generation alles, wofür ihre Familie steht – nicht zuletzt das gescheiterte Versprechen an die schwarze Frau, die ihr ganzes Leben für sie gearbeitet hat. Das Salome versprochene eigene kleine Haus mit ein wenig rückt mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, in weitere Ferne. Mit großer erzählerischer Kraft und nah an den Personen schildert Damon Galgut eine Familiengeschichte, die sich über dreißig Jahre erstreckt, in denen sich Südafrika gewandelt hat – von der Apartheid hin zur Demokratie. Zumindest nach offizieller Lesart. Der Autor wurde für das Buch mit dem Booker-Preis 2021 ausgezeichnet.

Sachbuch
Leonardo Padura – Wie Staub im Wind
Während in Berlin die Mauer fällt, kommt in Havanna das Leben zum Stillstand. Das Einzige, was alle im Übermaß besitzen, ist Zeit. Verbunden durch den Durst nach Leben findet sich eine verschworene Gemeinschaft zusammen, der »Clan«. Ein altes Haus, durchzogen von vielfarbigem Licht und dem Duft nach Kaffee und Rum, wird zum Zufluchtsort. Hier kommen sie alle zusammen, feiern, streiten, trinken, lesen, begehren. Doch der Clan zerbricht, zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen. Erst Jahrzehnte später und Hunderte Kilometer entfernt, mit dem Fund eines vergilbten Fotos, beginnen sich die unter der Zeit begrabenen Geheimnisse der einst so engen Freunde zu lüften. Der kubanische Autor Leonardo Padura hat einmal mehr ein Buch geschrieben, das die großen Themen der Zeit aufgreift und dabei glänzend unterhält.



Roman
Serhij Zhadan – Internat
Ostukraine 2016. Ein junger Lehrer will seinen 13-jährigen Neffen aus dem Internat am anderen Ende der Stadt nach Hause holen. Die Schule, in der seine berufstätige Schwester ihren Sohn „geparkt“ hat, ist unter Beschuss geraten und bietet keine Sicherheit mehr. Der Weg dahin dauert einen ganzen Tag. Der Heimweg wird zur Prüfung. Die beiden geraten in die unmittelbare Nähe der Kampfhandlungen, ohne mehr sehen zu können als den milchigen Nebel, in dem gelbe Feuer blitzen. Maschinengewehre rattern, Minen explodieren, apathische Menschen stolpern orientierungslos durch eine apokalyptische urbane Landschaft. In Bildern von enormer Eindringlichkeit schildert Serhij Zhadan, wie sich die vertraute Umgebung in ein unheimliches Territorium verwandelt. Das Buch ist in Deutsch bereits 2018 erschienen, gehört nicht nur wegen der diversen Preise für den Autor zu den wichtigsten des Jahres 2022. Im Januar erscheint es als Taschenbuch.

Roman
Jan Faktor – Trottel
Ein eigensinniger Schriftsteller, gebürtiger Tscheche und begnadeter Trottel, erinnert sich an ein Leben, in dem immer alles anders kam, als gedacht. Ihren Anfang nimmt die Geschichte in Prag, nach dem sowjetischen Einmarsch. Auf den Rat einer Tante hin studiert der Jungtrottel Informatik, hält aber nicht lange durch. Dafür macht er erste groteske Erfahrungen mit der Liebe, langweilt sich in einem Büro für Lügenstatistiken und fährt schließlich Armeebrötchen aus. Nach einer denkwürdigen Begegnung mit der »Teutonenhorde«, zu der auch seine spätere Frau gehört, »emigriert« er nach Ostberlin und taucht ein in die schräge, politische Undergroundszene des Prenzlauer Bergs. Der anarchische Erzähler Jan Faktor hat einen wunderbar verspielten, funkelnden Schelmenroman geschrieben und wurde dafür mit dem Wilhem-Raabe-Preis ausgezeichnet.

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Quelle Text/Bild:
buchhandlung blaue blume
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67655 Kaiserslautern

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Kaiserslautern, 29.12.2022