Offener Brief des OB an den ADD Präsidenten

Offenen Brief unseres Oberbürgermeisters Dr. Klaus Weichel an den ADD Präsidenten Thomas Linnertz

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Sehr geehrter Herr Linnertz,

ich beziehe mich auf Ihr Schreiben vom 05.12.2022, in welchem Sie die Gesamtsituation der Fluchtaufnahme in Rheinland-Pfalz und die Auswirkungen auf die Kommunen beschreiben. Wir erkennen wie Sie, dass die Anforderungen an alle beteiligten Akteure stetig steigen und die Zeichen zu keiner Zeit auf eine Entspannung hindeuten.

Besonders macht unsere Situation in Kaiserslautern, dass dieses Szenario quasi seit dem Frühjahr ständige Realität ist. So mussten wir schon wenige Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine mit der Burgherrenhalle eine erste Mehrzweckhalle umfunktionieren, damit wir dem starken, unkoordinierten Zustrom der geflüchteten Menschen eine gewisse Grundstruktur gegenüber stellen konnten, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Mit großen Aufwendungen haben wir seitdem Einrichtung um Einrichtung akquiriert, hergerichtet und mit allen notwendigen Rahmenbedingungen wie sozialer Betreuung bzw. Leitung und Sicherheitsdienst versehen, um sie den geflüchteten Menschen zur Verfügung stellen zu können. Drei große Gemeinschaftsunterkünfte konnten seit der Zuwanderungskrise 2014 nicht aufgelöst werden und sind mit Asylbegehrenden belegt. Und wie der regelmäßig von dem MFFKI erstellte
„Sonderreport Ukraine“ bestätigt, stieg der Zustrom ukrainischer Geflüchteten bis heute in Kaiserslautern stets an. Mit rund 1600 gemeldeten Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine liegen wir knapp 50 Prozent über der Zahl, die wir eigentlich aufnehmen müssten.

Wir erkennen hier auch einen Zusammenhang mit dem starken Engagement unsererseits von Beginn an: in den sozialen Medien und innerhalb der entsprechenden Communities sprachen sich die guten Rahmenbedingungen und / oder freie Plätze in den Kaiserslauterer Einrichtungen schnell herum, was wiederum den Zustrom erhöhte.



Wie ich in meinem Schreiben vom 01.12.2022 schon darlegte, sind die Handlungsmöglichkeiten in Kaiserslautern nahezu erschöpft. Damit sind in erster Linie nicht die möglichen Stellflächen für weitere Feldbetten in Turnhallen gemeint. Wir erleben in den der Unterbringung nachfolgenden Strukturen größte Probleme und Überforderungen.

Sie weisen zu Recht auf die finanzielle Unterstützung des Landes in Sachen der Fluchtaufnahme für die Kommunen hin. Dafür sind wir dankbar. Doch zum einen bin ich überzeugt, dass eine Abschlussrechnung eines Tages belegen wird, dass diese Mittel nicht die tatsächlichen Ausgaben auffangen konnten. Und zum anderen helfen diese Sonderzahlungen leider nicht, um viele der Kernprobleme anzugehen, nämlich etwa genügend zusätzliche Lehrkräfte einzustellen, Kita-Plätze zu generieren, Terminfenster in den Behörden und Beratungsstellen zu öffnen oder Wohnraum zu schaffen.

Neben den räumlichen Faktoren sind es genau diese sozialen Faktoren, die bewirken, dass die Aufnahmekapazität einer Kommune auch von dieser Seite endlich ist. Wie schon die Erfahrung aus den hohen Zuwanderungszahlen 2014 und fortfolgend zeigte, ergeben sich die größten Probleme, wenn geflohene Menschen nach einer Phase des ersten Ankommens und Orientierens ihre individuellen Wege gehen und Bedarfe artikulieren möchten. Ob vom Sprachkursträger, Migrationsfachdienst oder der Schulsozialarbeit: bereits jetzt hören wir aus diesen relevanten Ebenen ein deutliches „Land unter“!

Noch erlebe ich in der Stadtgesellschaft eine große Empathie, die den vielen, vor allem aus der Ukraine, geflüchteten Menschen zu Teil wird. Dies muss aber nicht so bleiben. Aufnahmebereitschaft ist ein fragiles Gut, das möglicherweise Schaden nehmen könnte. Der soziale Frieden ist ein Aspekt, der bei allen Nothilfemaßnahmen bedacht werden muss.

Es gilt also, Überlastungen des Systems zu vermeiden. Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine wird Kaiserslautern jedoch in nächster Zukunft auf eine Überlastung zusteuern. Diese wird spätestens dann eintreten, wenn ab Januar wieder vermehrt reguläre Asylsuchende durch den Königsteiner Schlüssel zugewiesen werden. Eine derart hohe (Über-)Belastung kann nicht in den bestehenden Strukturen und im Alltagsgeschehen absorbiert werden.

Kernproblem aus unserer Sicht ist das Ausblenden einer Verteilquote ukrainischer Geflüchteter bei den Zuweisungen Asylsuchender über den Königsteiner Schlüssel. Ist es aus fachlicher Sicht nachvollziehbar, dass Kriegsflüchtlinge nach der erstmals verwendeten Massenzustrom-Richtlinie formal nicht den Asylbegehrenden zugeschlagen werden, so ist das aus Sicht der tatsächlichen Gegebenheiten und Lebenswelten absurd. Denn beide Gruppen Geflüchteter belasten die gleichen Systeme, beanspruchen die gleichen Ressourcen und konkurrieren um die gleichen Güter, Hilfen und Lebensräume.

Es führt zudem zu einer Ungleichbehandlung der
Kommunen, denn es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Kommunen, die von Beginn an über Gebühr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen haben, in gleichem Maße Zuweisungen von Asylsuchenden erhalten sollen wie Kommunen, in denen der Zustrom aus der Ukraine geringer ist.

Kaiserslautern darf für sich in Anspruch nehmen, in Fragen der Fluchtaufnahme schon immer mit offenen Türen und Herzen agiert zu haben. Wir haben stets das sichere und gelingende Unter- und Ankommen der Menschen bei uns vor andere Interessen gestellt. Wir haben uns zu einem „Sicheren Hafen“ erklärt, und uns zu einer überquotialen Aufnahme
z.B. im Zuge der Moria-Krise bereit erklärt. Und auch jetzt arbeiten wir weiter daran, alles Mögliche zu tun, damit die Menschen die in den nächsten Wochen und Monaten zu uns kommen, untergebracht werden können. Angesichts der nachweislich zugespitzten Lage in Kaiserslautern, bitten wir jedoch um eine neue Bewertung der tatsächlichen Aufnahmekapazitäten einer Kommune mit besonderen Belastungen.

Wir appellieren daran, die bislang parallel betrachteten Verteilquoten für ukrainische Kriegsflüchtlinge und Asylbegehrende in einen fairen Ausgleich zu bringen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Klaus Weichel

In Abdruck an:
Ministerin Katharina Binz



Download Brief:
Brief_OB_Linnertz_Binz_Aufnahme Flüchtlinge_221221


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Quelle Text/Bild:
Pressestelle der Stadtverwaltung Kaiserslautern,
Willy-Brandt-Platz 1,
67657 Kaiserslautern

www.kaiserslautern.de

Kaiserslautern, 22.12.2022

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