„Die Ausstellung ‚Gurs 1940. Die Deportation und Ermordung von südwestdeutschen Jüdinnen und Juden‘ konfrontiert uns mit einem der schrecklichsten Menschheitsverbrechen aller Zeiten“, sagte Bezirkstagsvorsitzender Theo Wieder bei der digitalen Eröffnung der Schau, die im Historischen Museum der Pfalz in Speyer aufgebaut ist. Er ergänzte, dass es sich um „ein beispielloses Verbrechen“ handele, „begangen von Deutschen – unter den Augen von Deutschen – am hellen Tag“. Knapp zwei Jahre nach dem Synagogenbrand seien die letzten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der Pfalz vertrieben worden. Das Internierungslager in Gurs sei auf die Ankunft von über 6.500 Menschen nicht einmal ansatzweise vorbereitet gewesen. Wegen katastrophaler Hygienemängel, Regen und Kälte seien viele bereits innerhalb weniger Wochen, viele weitere in den nächsten beiden Jahren gestorben. Ab März 1942 wurden die überlebenden Menschen in die Vernichtungslager nach Auschwitz-Birkenau, Majdanek und Sobibor deportiert, wo die meisten der dorthin Verschleppten ermordet worden seien. Mit Blick auf Gegenwart und Zukunft müssten wir Fragen junger Menschen zulassen, warum wir heute noch gedenken. „Wir müssen dies tun, weil wir nicht vergessen dürfen, was geschehen ist. Das ist ein Teil unserer Verantwortung, wovon auch unsere Zukunft abhängt“, sagte Wieder. Es seien doch genau diese Fragen nach den Grundlagen unserer individuellen moralischen Existenz und unseres gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenlebens, die die Vergangenheit gegenwärtig und das Erinnern zur Pflicht machen würden, damit so etwas nie mehr passiere. Dem gedanklichen Entzug der Menschenwürde folgten der Ausschluss aus gemeinschaftlichen Konventionen und der für alle gleich geltenden Rechtsordnung, die öffentliche Ausgrenzung aus der Gemeinschaft und schließlich der Entzug des Existenzrechts. Dies verpflichte uns, bereits im Ansatz jeglichem Gedanken einer Relativität menschlichen Lebens und menschlicher Würde entschieden entgegenzutreten. „Dies bedarf des Mutes und ist unbequem, aber es muss sein“, so Wieders Credo.
Staatssekretär Dr. Denis Alt vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur würdigte die Gedenk- und Erinnerungskultur des Landes, die für die demokratische Gesellschaft besonders wichtig sei und auf zwei Säulen ruhe: dem Gedenken im eigenen Land und der internationalen Zusammenarbeit. „Die Gedenkorte der NS-Zeit machen deutlich, dass Demokratie immer wieder neu gesichert werden muss“, so Alt. Die Ausstellung werde nach innen wirken, indem sie die Menschen hier über die Verbrechen informiere, und sei gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur europäischen Gedenkarbeit, der die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf diesem Gebiet befördere. Bernhard Kukatzki, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, erinnerte daran, dass die Deportation in aller Öffentlichkeit stattgefunden habe und sich die Gesellschaft dies erst nach Jahrzehnten bewusst und offiziell wieder in Erinnerung rief. Erst Mitte der 1980er Jahre habe die Beschäftigung mit der Deportation nach Gurs in unserer Region eingesetzt. Besonders der Bezirksverband Pfalz als Repräsentant aller pfälzischer Städte und Gemeinden habe sich dieses Verbrechens angenommen. Ihm sei die Erinnerungskultur ein echtes Anliegen. Kukatzki dankte dem Regionalverband, dass er die Wanderausstellung der Berliner Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in der Pfalz organisiere und ein Begleitprogramm dazu erstellt habe. Die lokalen und regionalen Ergänzungen der Ausstellung seien ein wesentliches Element dieses Projekts, denn sie machten deutlich, dass dies alles vor der eigenen Haustür geschehen sei und mit dem eigenen Lebensumfeld zu tun habe. Er verwies auf die Ländervereinbarung von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland, die den dauerhaften und würdigen Erhalt der Gräber der deportierten Jüdinnen und Juden in Südfrankreich festlege; es seien rund 2.000, die über viele Friedhöfe zerstreut und zum Teil in schlechtem Zustand seien. Prof. Dr. Michael C. Hermann vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg stellte die Arbeitsgemeinschaft zu Unterhalt und Pflege des Deportiertenfriedhofs in Gurs vor, in der badische Städte und Gemeinden sowie der Bezirksverband Pfalz zusammengeschlossen seien und die sich seit vielen Jahren in der Gedenkarbeit engagiere. Darüber hinaus berichtete Hermann ebenfalls von der Kooperation der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland; in der jüngsten Vergangenheit seien Mittel für die Sanierung von über 250 Gräbern in Portet-sur-Garonne in der Nähe von Toulouse bereitgestellt worden, und zwar in enger Abstimmung mit den Gemeinden vor Ort und in Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden.
Marina Nikiforova, Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, betonte die Bedeutung, die Erinnerung an die schrecklichen Verbrechen insbesondere für die nachfolgenden Generationen lebendig zu halten, „damit sich so etwas nie mehr wiederholt“. Dr. Alexander Schubert, Direktor des Historischen Museums der Pfalz, wies darauf hin, dass dies die erste Ausstellung des Museums sei, die digital eröffnet werde und von der man noch nicht wisse, wann man sie besuchen könne; und es sei das erste Mal seit langem, dass das Historische Museum eine Ausstellung zeige, die das Haus weder kuratiert noch mitkuratiert habe. Sie beschäftige sich mit einem wichtigen Thema der pfälzischen Geschichte und passe insofern auch gut zum Portfolio. Der Kabinettraum, in dem sie aufgebaut sei, lade zum Verweilen ein, damit man sich für dieses schwierige Thema Zeit nehmen könne. Die Kuratoren Dr. Christoph Kreutzmüller und Jennifer Heidtke stellten sodann die deutsch-französische Ausstellung des Hauses der Wannsee-Konferenz vor, die das Thema auf 28 Tafeln in fünf Kapiteln beleuchtet. Die Eröffnung wurde musikalisch von Karen Leiber (Sopran), i Qiong Pan (Violine), Sofia Guo (Viola) und Eric Trümpler (Violoncello) gestaltet. Die Ausstellungseröffnung ist auf dem YouTube-Kanal BVPfalz abrufbar.
Am Rande der Eröffnung wünschte sich Felix Schmidt, Vorsitzender des Ausschusses für Gedenkarbeit und Demokratieförderung des Bezirkstags Pfalz, dass möglichst viele Kommunen und Schulen in der Pfalz diese Wanderausstellung zeigen. Ulrich Burkhart, Archivar des Bezirksverbands Pfalz, erläuterte den regionalen Part der Ausstellung, der auf neun Tafeln einzelne Opferschicksale beleuchte. Die Tafeln wurden zum großen Teil von Roland Paul, dem ehemaligen Direktor des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde und ehrenamtlichen Leiter der Arbeitsstelle „Geschichte der Juden in der Pfalz“, sowie von Ulrich Burkhart erarbeitet. Weitere Informationen zur Ausstellung, für die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft übernommen hat, sowie ergänzende Materialien finden sich unter www.gurs1940.de und www. https://www.bv-pfalz.de/gedenken-erinnern/80-jahre-gurs/. Dort gibt es auch Informationen zum digitalen Begleitprogramm des Bezirksverbands Pfalz. Die Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer ist – sobald es wieder öffnen kann – dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eine Voranmeldung des Besuchs ist dann erforderlich, und zwar montags bis freitags zwischen 10 und 16 Uhr telefonisch unter der Nummer 06232 620222. Am Museum werden bei Wiederöffnung zusätzlich dienstags bis sonntags zwischen 10 und 17 Uhr Vorausbuchungen am Fenster neben dem Haupteingang entgegengenommen.
Bu: Niemals vergessen: Deportiertenfriedhof in Gurs
(Foto: Bezirksverband Pfalz)
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Kaiserslautern, 12.04.2021
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