Aerodynamik bei Autos und Flugzeugen ist wichtig, um Treibstoff zu sparen. Eine neuartige Methode, die dies steuert und zugleich geschwindigkeitsunabhängig ist, bietet das Start-up „CompActive“ an, eine Ausgründung der TU Kaiserslautern: Das von den Forscher*innen entwickelte intelligente Material passt sich dank Formgedächtnis-Draht automatisch an wechselnde Bedingungen an. So lassen sich mithilfe der biegsamen Aktoren auch Behälter, die Lebensmittel enthalten, berührungslos – unter hygienischen Bedingungen – öffnen. Auf der digitalen Hannover Messe vom 12. bis 16. April ist CompActive mit der flexiblen Technologie am Gemeinschaftsstand Forschung und Innovation Rheinland-Pfalz präsent.
Dank ihrer fächerförmig gespreizten Federn an den Flügelenden können Adler bei relativ niedriger Geschwindigkeit in der Luft kreisen. Die Federn sorgen dafür, dass sie möglichst effizient unterwegs sind. Erspähen sie ein Beutetier, stürzen die Vögel in Windeseile zu Boden. Die Flügel passen sich dabei an die neuen Bedingungen an.
Flugzeuge sind nicht so flexibel. Für eine gewisse Effizienz sorgen Komponenten wie etwa Winglets, eine Art gebogene Verlängerung an den Spitzen der Tragflächen. „Ein weiteres Beispiel sind Turbulatoren“, sagt Dr. Moritz Hübler, Geschäftsführer und Mitbegründer von CompActive. „Sie bestehen aus vielen kleinen Störflächen und stabilisieren auf der Flügeloberfläche die Strömung, damit Piloten langsamer fliegen können. In beiden Fällen handelt es sich allerdings um starre Bauelemente. „Da sie sich nicht automatisch während des Flugs anpassen, ist die Aerodynamik immer nur für bestimmte Geschwindigkeiten ausgelegt“, ergänzt Hüblers Kollegin Patricia Stöbe.
Ganz anders ist hingegen die Technologie, die das fünfköpfige Team um Hübler und Stöbe entwickelt hat. Die Aktoren passen sich zum Beispiel automatisch an verschiedene Geschwindigkeiten und Temperaturen an. Dabei kommen Drähte aus einer Formgedächtnislegierung zum Einsatz. „Darunter versteht die Fachwelt das Phänomen, dass diese Drähte nach einer Verformung wieder ihre alte Form annehmen“, erläutert Hübler. Sie bestehen aus einer Nickel-Titan-Verbindung. „Erwärmen sich die Drähte, beispielsweise durch elektrischen Strom, ziehen sie sich zusammen“, fährt der Forscher fort. Die Drähte sind auf einer biegsamen Platte aufgebracht. Ein Zusammenziehen der Drähte führt ähnlich wie bei unserer Muskulatur dazu, dass sich das Material krümmt.
„Gegenüber herkömmlichen Techniken, die zum Beispiel auf Druckluft oder elektrische Motoren setzen, hat unser aktives Material ein geringeres Gewicht und benötigt weniger Volumen“, erläutert Stöbe. Zudem lassen sich die Aktoren auf individuelle Kundenwünsche maßschneidern. „Wir bieten sie in verschiedenen Größen an und sie können auf unterschiedlichen Materialien, wie zum Beispiel auf faserverstärktem Kunststoff oder Metall, zum Einsatz kommen“, so Stöbe. Die Aktoren lassen sich zudem auf unterschiedliche Art auf Bauteile aufbringen und in elektrische Systeme einbinden. „Neben der einfachen Ausführung mit Klebefilm oder Niet lassen sich die Module auch mit Flüssigklebstoff, Bolzen oder Schrauben aufbringen. Die elektrische Kontaktierung an den Messingdraht kann zum Beispiel über Löt-, Schweiß- oder Steckverbindungen erfolgen“, sagt Hübler weiter. In ihrem Unternehmen „CompActive“ entwickelt das Team das Material zur Marktreife mit Ziel, künftig in Serie zu produzieren. Es hat sich den Aufbau bereits patentieren lassen.
Einsatzgebiete für die flexible Technologie
Mit dem Material sind zahlreiche Funktionen denkbar, zum Beispiel spalt- und knickfreie Flugzeugklappen, die die Aerodynamik für unterschiedliche Geschwindigkeiten automatisch verbessern und damit Energie sparen. Auch Turbulatoren lassen sich damit einfach per Knopfdruck ausfahren. „Damit sind langsamere, steilere und sicherere Landeanflüge möglich, ohne dass die Effizienz leidet“, sagt Hübler.
Ein anderes Einsatzgebiet ergibt sich bei Fahrzeugen, um den Spritverbrauch – ähnlich wie bei Flugzeugen – zu senken. „Man könnte sie für eine automatische Optimierung der Aerodynamik nutzen, egal ob man in der Stadt oder auf der Autobahn unterwegs ist“, sagt Stöbe. Als Demonstrator nutzt CompActive eine geschlossene Aero-Felge für maximale Effizienz und Reichweite. Der Trick ist, dass die verbauten Aktoren nach starken Bremsvorgängen oder Passabfahrten von ganz alleine Lüftungsöffnungen im der sonst geschlossenen Oberfläche erzeugen.
Zudem entwickelt CompActive aktuell, um dem gestiegenen Bedarf nach hygienischen Alltagslösungen nachzukommen, „berührungslose“ Öffnungsmechanismen. Die Aktoren sind herkömmlichen Elektromotoren überlegen, weil sie schnell, absolut lautlos und unempfindlich gegen über Flüssigkeiten sind. Damit lassen sich berührungslos öffnende Abfallsammler in der heimischen Küche oder im öffentlichen Raum ebenso wie sich von Zauberhand öffnende Buffetbehälter im Gastgewerbe realisieren. Nicht zuletzt ist die Technik auch für Lüftungsanlagen, Highspeed-Löse- und Verriegelungsaufgaben und bei neuartigen Lampen-Designs interessant.
Anhand von Funktionsmustern kann das Team eindrucksvoll demonstrieren, wie sich das Plus an Flexibilität auswirkt: Darunter ein Flugzeugflügel, in dem sechs Aktoren verbaut sind, die sich getrennt voneinander ansteuern lassen, die aktive Aero-Felge mit fünf autarken Lüftungsklappen oder ein Hochgeschwindigkeits-Aktor, der innerhalb weniger Millisekunden mehrere Zentimeter Auslenkung erreicht.
Neben Hübler und Stöbe arbeiten Daniel Vogelsanger, Nicolà Hammann und Nils Neblung mit im Start-up. Das Vorhaben des Start-ups wurde als „EXIST-Forschungstransfer-Projekt“ am Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Bei ihrer Arbeit sind die Jungunternehmer von der TU Kaiserslautern sowie dem IVW unterstützt worden. Mittlerweile hat das Team in Neustadt an der Weinstraße eigene Räumlichkeiten bezogen, um eine erste Serienproduktion vorzubereiten.
Weitere Informationen unter www.compactive.de
Quelle Text/Bild:
TU Kaiserslautern
Hochschulkommunikation
Gottlieb-Daimler-Straße 47
67663 Kaiserslautern
www.uni-kl.de
Kaiserslautern, 29.03.2021